Die Schwimmschule

Willkommen im Reich der pädophilen Sadisten!

"Schwimmen lernt man im See,
Schlittenfahren im Schnee..."

(Schlager von 1969)

Manche Menschen geraten beim Anblick einer größeren Menge herrlichster Nässe in allerhöchste Verzückung: Eilig reißen sie sich die Kleider vom Leib, machen einen eleganten Kopfsprung, ihre geschmeidigen Körper gleiten unter Wasser an die 20 Meter weit, sie prusten begeistert beim Auftauchen und machen einen geradezu widerlich glücklichen Eindruck.

Andere werden in's Wasser gestoßen oder flüchten allenfalls vor verrückt gewordenen Wespen in das offenbar tödliche Fluidum, wo sie hilflos rudernd und trotz gewaltiger Kraftanstrenung die größte Mühe haben bei Bewußtsein zu bleiben und nicht unterzugehen.

Ich zähle eindeutig zur zweitgenannten Gruppe!

In meinem Bemühen, alles und jeden zu psychologisieren, einzuordnen und Rechnungen aufzumachen, kommt irgendwann der Punkt, wo alle um mich herum in Grund und Boden analysiert in einer Schublade herumliegen mit einer dicken Rechnung in der Hand auf der steht: "Deine Schulden". Danach ist die Zeit reif für Selbstreflektion, die Zeit des quälerischen, weinerlichen, nutzlosen Selbstmitleids, das alle anderen Menschen im Schatten der eigenen großartigen Person vollkommen uninteressant erscheinen läßt, so dass ich mich frage, warum ich mit deren Analyse und Einordnung eigentlich so viel Zeit vergeudet habe.

Ja, die Zeit ist reif.

Was habe ich eigentlich gegen Wasser in Form größerer Ansammlungen? Angeblich soll ich als kleines Kind mal in einem Teich fast ertrunken sein. Die mich begleitende Erzeugerin hatte wohl ihren Sonntagsstaat angelegt und mußte deswegen von einer Rettung ihres um sein Leben kämpfenden Kleinkindes absehen. Laut Erzählung kam aber ein "Soldat" daher (man erinnert sich nicht, ob er gerade im Kampfeinsatz war) und zog mich aus dem Wasser. Das soll ich ihm dadurch gedankt haben, daß ich, kurze Zeit später wieder bei Luft und ganz ich selbst, ihm die ganze Uniform vollgekotzt habe.

Ein paar Jahre später, als ich gerade der Isolationshaft (der Fachausdruck dafür lautete wohl "Quaratäne") in der Lungenklinik Heckeshorn entkommen war, (ich war dort unschuldig inhaftiert, nein, ich hatte wirklich kein TBC, dafür herrschten dort aber Zustände wie im Knast) gab es einen neuerlichen Anschlag auf mein Leben, an den ich mich aber noch relativ gut erinnere. Ich muß etwa acht Jahre alt gewesen sein, als der Orthopäde neben den obligatorischen Heb- Senk- und Spreizfüßen und dem allgegenwärtigen "Scheuermann" irgendetwas anderes entdeckte, was sofortige Maßnahmen erforderte. Man meldete mich in der Schwimmschule an, denn das, habe der Arzt geraten, sei garantiert nicht verkehrt. Wofür oder wogegen auch immer.

Die Schwimmschule im Steglitzer Süden bestand im Erdgeschoß aus einer Bar, hinter der eine braungebrannte, blonde Dame stand, Bier zapfte und Schnaps ausschenkte. Hier konnten sich die Eltern in aller Ruhe vollaufen lassen, während die Produkte ihrer vergessenen Pilleneinnahmen im Keller, dem eigentlichen Zentrum der Folterburg, in aller Ruhe von gutgebauten Knechten mißhandelt, verletzt und gedemütigt wurden.

Mein erste Schwimmstunde verlief so: Nach dem Umkleiden schmiß man mich ins Wasser, um mal "zu sehen, wie ich schwimmen kann". Ich konnte überhaupt nicht schwimmen, was möglicherweise ein Grund dafür war, dass ich in eine Schwimmschule geschickt wurde. Mich mühsam über Wasser haltend krakelte und brüllte ich, schluckte zuviel Wasser und kackte in Todesangst in die Badehose. Um mich zu beruhigen stukte mich der weise Schwimmlehrer ordentlich unter Wasser, damit ich einsehe, "dass das ja gar nicht so schlimm ist". Anschließend kam nach einer kleinen Jagd um das Becken ("Renn um Dein Leben!") der nächste große Wurf. In meiner Verzweiflung hielt ich mich an einem vorbeischwimmenden Kind fest, was mit neuerlichen Unterstuken bestraft wurde, verbunden mit dem pädagogischen Hinweis: "Sowas macht man nicht. Idiot!"

Irgendwie überlebte ich die Tortur - das sollte sich aber nicht gelohnt haben. Denn obwohl für mich feststand, dass ich nie wieder in diese als "Schwimmschule" getarnte Kindesmisshandlungsstätte gehen wollte musste ich Woche um Woche wieder dorthin. Im Grunde gab es damals wirklich zwei Sorten "Zeit": Die am Nachmittag nach absolvierter Folter und jene ab dem Morgen danach, wenn ganz sicher war, dass ich in sechs Tagen wieder jede Menge Register ziehen müßte, um mich irgendwie davor zu drücken zu können. Ich stellte mich schlafend. Ich bekam Fieber, Wutanfälle, ich heulte und brüllte: Es nutzte nichts, "es musste sein".

Die "Schwimmlehrer" gaben sich wieder und wieder alle Mühe, mich umzubringen: Einem Nichtschwimmer die Schwimmflügel an den Fußknöcheln statt an den Oberarmen zu befestigen bedeutet erstmal einen verzweifelten Überlebenskampf mit echter Todesangst vor Ertrinken, freundlicherweise wurde ich dann irgendwann doch noch gerettet, nicht ohne eine Standpauke, dass ich mich "mal nicht so haben soll". Überhaupt stand das Schwimmen lernen nicht im Vordergrund dieser Neurosenbrutstätte, sondern es ging anscheinend in erster Linie darum, klarzustellen, wer der Boss war, und dass man als Schwimmschüler, oder genauer, als Lustobjekt dieser pädophilen Sadisten, froh sein konnte, überhaupt mit dem Leben davonzukommen.

Begreiflicherweise durften die Eltern nicht bei den Schwimmstunden dabei sein, das war pädagogisch sehr fortschrittlich und natürlich vollkommen im Sinne der Kindesmißhandler. Einmal brachte mich mein neun Jahre älterer Bruder zur Quälstunde und ich flehte ihn an - ja, ich flehte wirklich - er möge in der Nähe bleiben und wenn ich "Hilfe" rief, möge er bitte kommen und mich retten. Er sagte zu, ich brüllte um Hilfe, als wieder ein Reigen pädagogisch besonders wertvoller Maßnahmen an mir ausprobiert werden sollte und er kam nicht. Er war gar nicht in der Nähe, sondern trank im Erdgeschoß ein Bier, was ihm total "astrein" vorkam, da er ja gerade 17 war und damit genau in dem Alter, wo man damals entweder am Bahnhof Zoo auf den Strich ging oder irgendwo ein Bier bestellen konnte ohne nach dem Personalausweis gefragt zu werden.

In meiner Verzweiflung wurde mein Widerstand gegen die Besuche bei den Kinderquälern irgendwann derartig umfassend, dass meine Eltern schließlich doch ein Einsehen hatten und mich von der verordneten Mißhandlung suspendierten.

Schwimmen - naja, nicht eben elegant, aber eben so - lernte ich dann im nächsten Jahr mit Hilfe meines Vaters, und zwar im "Wannsee", einer großen, stinkenden, dreckige Brühe im Berliner Süden. Ja, da treiben einem auch Scheißhaufen entgegen, ja, schon ab 20 cm Wassertiefe erkennt man den Boden nicht mehr - na und? Es war der Abschluß eines Alptraums.

Und ich bin wirklich kein Freund körperlicher Gewalt. Nein!

Aber wenn ich irgendwem etwas Fieses wünschen dürfte - oh ja, meine lieben sadistischen Kindesmißhandler aus der Schwimmschule würden elendig ersaufen.

Quatsch! In letzter Sekunde würde ich beide aus dem Wasser ziehen und herablassend rufen:

"Stellt Euch nicht so an. Idioten!"


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 12.3.2001 von Chefkoch
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