Romy Schneider, Traumhochzeit und Märchenkönig

Ich beschäftige mich zur Zeit gerade zwanglos mit der österreichischen Kaiserin Elisabeth (bekannt aus den "Sissi"- Filmen mit Romy Schneider) und ihrem Cousin, dem "Märchenkönig" Ludwig II. von Bayern. Sehr interessant und gut zu lesen ist übrigens die Biographie von Brigitte Hamann: "Elisabeth. Kaiserin wider Willen". (Hier erscheint Elisabeth in Anlehnung an die zeitgenössische Schreibweise als "Sisi" und nicht als "Sissi", was ich im folgenden übernehme.)

Die Beschäftigung mit diesen Figuren finde ich unter drei Gesichtspunkten fesselnd. Zum einen interessieren mich die Technik-, Kultur- und Sozialgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts (als Vorboten des 1. Weltkriegs), zum zweiten die Rolle Österreichs und Bayerns als Widersacher Preußens und zum dritten das individuelle Schicksal der historischen Personen.

Die Donaumonarchie befand sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer schweren Wirtschaftskrise (immense Arbeitslosigkeit). Hinzu kamen die enttäuschten (und anfangs vom Kaiser selbst genährten) Hoffnungen von 1848, das Land werde eine Verfassung erhalten (wir erinnern uns, daß auch der preußische König 1848 seinem Land eine freiheitliche Verfassung versprochen hatte - um ihm nur ein Jahr später eine reaktionäre zu "oktroyieren"). Der jahrhundertealte Glaube an das "Gottesgnadentum" der Herrscher begann in seinen Grundfesten zu wanken; auch für die zeitgenössischen Herrscherhäuser war erkennbar, daß sich das wirtschaftlich erfolgreiche Großbürgertum nicht für immer von der politischen Macht würde ausschließen lassen. "Sisi" und manche ihrer hellsichtigen Zeitgenossen, so auch ihr Sohn Kronprinz Rudolf und ihre Tochter Marie Valerie, erkannten in deutlicher Schärfe, daß sie zu einer absterbenden Kaste gehörten; eine Stimmung, die mich ein wenig an Gorkis "Sommergäste" erinnert. (Die resultierende Geisteshaltung könnte man durchaus mit "No future!" übersetzen.)

Hinzu kommt, daß Österreich seinerzeit (vor Königgrätz) eine unangefochtene Großmacht in Europa darstellte (was man sich heute kaum mehr vorstellen kann), die das militärisch rückständige Preußen nach der "Olmützer Punktation" im Deutschen Bund nach Belieben dominierte (Grund für die "Heeresreform", die wiederum zur Berufung Bismarcks führte).

Entsprechend groß waren Österreichs Interessenssphären, aber auch die Verantwortung für einen unerfahrenen Achtzehnjährigen (!) auf dem Kaiserthron (Krönung Franz Josephs 1848), der sich auf seine Mutter Sophie ("die heimliche Kaiserin") und - in der Lagebeurteilung durchaus nicht immer übereinstimmende - Berater verlassen mußte. Als imperialistischer Vielvölkerstaat hatte Österreich überdies beständig, insbesondere nach 1848, mit Aufständen in Italien (Garibaldi!) und Ungarn zu kämpfen. 1853 wurde der Kaiser von einem ungarischen Separatisten schwer mit dem Messer verwundet; als Folge trug er lebenslange Sehstörungen davon. (Er verstarb erst 1916.)

Wieder einmal fasziniert mich die Rolle des Zufalls in der persönlichen, aber auch in der Weltgeschichte - und die Verstrickung dieser mit jener.

So wird berichtet, daß sich der Kaiser aus politischen Gründen mit einer - bereits verlobten! - preußischen Prinzessin habe verheiraten sollen, was jedoch (ebenfalls aus politischen Gründen) vom preußischen Hof verhindert und als Demütigung des österreichischen Monarchen - der sich persönlich in Berlin aufhielt - gefeiert worden sei. Einmal mehr reizt mich die (historisch wohl gar nicht erlaubte) Frage: "Was wäre gewesen, wenn...?"

Nachdem eine sächsische Anwärterin ihm mißfiel, verabredete seine Mutter (Erzherzogin Sophie) mit ihrer Schwester (Herzogin Ludovika von Bayern) die Heirat Franz Josephs mit deren 18jähriger Tochter Helene (die für damalige Verhältnisse zum Heiraten schon fast zu alt war).

Dazu muß man wissen, daß Helene und ihre Schwestern nicht aus der königlichen, sondern "nur" aus der herzoglichen Linie der Wittelsbacher stammten, die herablassend als "arme" Verwandte (dazu später mehr!) behandelt und zudem verlacht wurde, weil Helenes Vater, Herzog Max von Bayern, ein zwar volkstümlicher, aber am Münchner Hof verachteter Sonderling war, der in einem eigenen Zirkus auftrat und einmal unter Ägyptens Pyramiden Zither gespielt hatte. Er hatte zahllose Liebesaffären; sein Herz gehörte nicht seinen ehelichen, sondern seinen beiden außerehelichen Töchtern, denen er regelmäßige und fest eingehaltene Mußestunden zu widmen pflegte. Helene und ihre Schwestern waren von vornherein zu Vernunftehen ausersehen; daher war es ihnen untersagt, Liebesromane (selbst Klassiker!) zu lesen, um von vornherein keine "dummen Gedanken" aufkommen zu lassen. (Herzogl. Linie, Herzog Max vgl. S. 28, 42)

Dennoch wurden die Mädchen für damalige Verhältnisse vergleichsweise liberal, nämlich von der eigenen Mutter und nicht von Hofangestellten, erzogen. Sie liebten die Natur; namentlich "Sisi" war außerordentlich tierlieb und eine regelrechte Pferdenärrin.

Das Kennenlernen des Brautpaares in spe, immerhin Cousin und Cousine ersten Grades, sollte in Ischl stattfinden. Wie zwanghaft diese Begegnung des 23jährigen Kaisers und seiner zukünftigen Braut verlaufen sein muß, läßt sich leicht denken. Alle Anwesenden waren sich schließlich nur zu bewußt, worum es ging! Die nach einem Trauerfall überstürzt angereiste Helene trug an diesem Tag ein schwarzes Kleid, das sie dem Kaiser, zumal in der Verkrampfung des von allen Verwandten und insbesondere den Müttern ängstlich beargwöhnten Augenblicks der Begegnung, als zu streng und ernst erscheinen ließ. So verliebte er, der in Liebsdingen keineswegs mehr unerfahren war, sich nicht in Helene, sondern in ihre erst 15jährige Schwester Elisabeth ("Sisi"), die ihm ja völlig unbefangen entgegentreten konnte und der zudem das Schwarz der Trauergarderobe besser zu Gesicht stand als ihrer Schwester. So meinen manche Biographen, ein Kleid habe über Helenes weiteres Leben entschieden.

In dieser Zeit beschäftigte sich der junge, politisch unerfahrene Kaiser Franz Joseph mehr mit seiner geliebten "Sisi" als mit der brenzligen Weltpolitik. In der Zeit der Unruhen von 1848/49 hatte der russische Zar Österreich gegen die aufständischen Ungarn beigestanden; nun geriet er durch die Kriegserklärung der Türkei ("Krimkrieg" 1854 - 1856) selbst in Schwierigkeiten und rechnete auf österreichische Unterstützung, die ihm jedoch aufgrund Franz Josephs Zaudern versagt blieb. Dies führte zu einer tiefen Feindschaft zwischen Rußland und Österreich, in deren Folge sich die Donaumonarchie politisch isoliert sah, da sie im Westen keinen neuen Verbündeten gewinnen konnte. Bereits im Krieg gegen Preußen (1866) erwies sich dies als fatal, wirkte jedoch bis 1914 nach. Möglicherweise ("Was wäre gewesen, wenn...?") war also die Verliebtheit des österreichischen Kaisers indirekt am Sieg von Königgrätz und somit an der Gründung des Deutschen Reiches beteiligt...

Geradezu unglaublich, ja empörend erscheint uns heute die Kluft zwischen der kaiserlichen Hofhaltung und dem Leben der "Untertanen". Noch unglaublicher (und dennoch wahr) ist es, daß dem Kaiser - anders als der hellhörigen und unverbildeten "Sisi" - dieses krasse soziale Gefälle in seiner Schärfe gar nicht bekannt war. Solche Dinge drangen gar nicht bis zum Hof vor. (Erinnert man sich an den Ausspruch der französischen Kaiserin Marie Antoinette, einer Tochter Maria Theresias, die bei Ausbruch der französischen Revolution erstaunt fragte, warum die Menschen denn keinen Kuchen äßen, wenn sie kein Brot hätten, so darf man wohl tatsächlich davon ausgehen, daß dieser Satz keinem Hohn, sondern echter Unkenntnis der sozialen Lage entsprang.)

Man muß sich einmal vor Augen halten, daß der Verdienst eines Arbeiters - sofern er überhaupt Arbeit hatte - bei 200 - 300 Gulden jährlich lag, und zwar bei einem Arbeitstag von 12 - 14 Stunden. Frauen verdienten die Hälfte, Kinder nur einen Bruchteil dieser Summe. Ein k. u. k. Leutnant erhielt 24 Gulden monatlich (= 288 Gulden jährlich), ein einfacher Soldat entsprechend weniger - ungeachtet der Tatsache, daß die Armee das Rückgrat der Monarchie bildete. Selbstverständlich gab es keinerlei soziale Absicherung.

Stellt man diesen Einkommensverhältnissen einmal die der kaiserlichen Familie gegenüber, so muß man sich über die ungebrochene, naive Kaisertreue vieler Zeitgenossen jedenfalls mehr wundern als über den Erfolg sozialistischer Bestrebungen in Europa. "Sisis" jährliche Apanage betrug 100.000 Gulden und die der Kaiserinmutter 50.000 Gulden (S. 54)! Dabei galt die kaiserliche Familie zu Lebzeiten des Ex- Kaisers Ferdinand, der nach der Abdankung das gesamte kaiserliche Vermögen behalten hatte, als vergleichsweise "arm" (50), ebenso wie "Sisis" bayrisches Elternhaus, dessen Mitgift in Höhe von -zigtausend Gulden am Wiener Hof ebenso Anlaß zu Hohn und Spott gab wie Elisabeths "ärmliche" Garderobe.

Anläßlich seiner Hochzeit schenkte Kaiser Franz Joseph seinem Land insgesamt 200.000 Gulden, die sich wie folgt verteilten:

25.000 Gulden für Böhmen; 6.000 Gulden für Mähren (speziell die Fabrikbezirke); 4.000 Gulden für Schlesien; 25.000 Gulden für Galizien; 50.000 Gulden für Tirol (zum Getreideankauf) 10.000 Gulden für Kroatien; 15.000 Gulden für Dalmatien; 15.000 Gulden für das jugoslaw. Küstenland; 50.000 Gulden für Wien "zur Unterstützung der arbeitenen Klasse und der in der gegenwärtigen Theuerung besonders leidenden verschämten Armuth" (vgl. S. 71)

Allein die Diamantkrone, die "Sisi" als Hochzeitsgeschenk erhielt, hatte demgegenüber einen Wert von 100.000 Gulden. Ihre als "ärmlich" verspottete Garderobe besaß einen Gesamtwert von 50.000 Gulden. Eine (später von Elisabeth abgeschaffte) Sitte verlangte, daß die Kaiserin von Österreich ihre Schuhe nur für einen Tag tragen dürfe und dann verschenken müsse. Das erste Paar Schuhe Elisabeths kostete 700 Gulden. (S. 58) Man errechne den Monatsbedarf bzw. den Jahresbedarf allein an Schuhen (selbst wenn diese nur die Hälfte gekostet hätten!) und stelle ihn den "großherzigen" Geldgeschenken des Kaisers an seine "Untertanen" gegenüber!

Sisis Cousin 2. Grades, der bayrische "Märchenkönig" Ludwig II., wandte für den Bau seiner drei Schlösser (vorgesehen waren zehn!) insgesamt circa 30 Millionen auf. Etwa dieselbe Summe hatte er nach 1866 als Reparationsleistungen an Preußen entrichten müssen.

Wer sich also nach den "guten, alten Zeiten" zurücksehnt, möge auch diesen Aspekt im Auge behalten; und wer heute das Werk von Marx und Bebel beargwöhnt, möge sich vor Augen führen, daß wir unser Wohlleben zum guten Teil diesen Denkern und dem entbehrungsreichen Kampf unserer Vorväter (und -mütter) verdanken. Wer aber allzu schnell in "gerechten Zorn" über die Monarchie ausbrechen will, möge einmal unseren eigenen Bedarf an Konsum- und Luxusgütern etwa den Verhältnissen in der Dritten und Vierten Welt gegenüberstellen und sich fragen, ob nicht auch wir einer "absterbenden Kaste" angehören.

Überdies wüßte ich gern, bei wem die immensen Vermögenswerte der herrschenden Klasse von einst heutzutage liegen. Sind die Habsburger, die Wittelsbacher und die Hohenzollern jemals enteignet worden? Oder erfreuen sich deren Erben (die wir allwöchentlich in der Regenbogenpresse bestaunen dürfen) noch heute dieser Summen?

Das Erstaunliche ist, daß sich ungeachtet dieser Reichtümer an "Sisis" Leben der Wahrheitsgehalt der vermeintlichen Platitüde "Geld allein macht nicht glücklich" ablesen läßt. Denn die Kaiserin war zeit ihres Lebens ein sehr unglücklicher Mensch. Im Alter von 15 Jahren zur Verlobten, mit 16 zur Ehefrau des Kaisers von Österreichs avanciert, litt sie stets darunter, nicht als Person, sondern lediglich als Repräsentantin anerkannt zu werden. An einem Hof, der lediglich am täglichen Klatsch interessiert war, fand ihre Vorliebe für Literatur und Geschichte keine Beachtung. Im Gegenteil: Die begabte junge Frau wurde für dumm gehalten, weil sie sich an der bei Hof gepflegten Konservation kaum beteiligte (zumal sie sich ihrer schlechten Zähne genierte und dementsprechend undeutlich sprach).

Sie wurde in jeder nur denkbaren Hinsicht von ihrer Schwiegermutter, der "heimlichen Kaiserin", bevormundet; vom Augenblick ihrer Hochzeit an stand sie in einer ihr völlig fremden Umgebung gewissermaßen unter Kuratel. Keine einzige der vertrauten bayrischen Dienerinnen durfte sie behalten. Ihre ersten beiden Kinder, die Mädchen Sophie und Gisela (das erste brachte sie mit 16 zur Welt!), wuchsen unter der Obhut der allgegenwärtigen Kaiserinmutter auf; "Sisi" erhielt niemals Gelegenheit, sich ungestört allein mit ihnen zu beschäftigen. Irgendwann resignierte sie und gab, wie sie später schrieb, den Kampf um die Kinder auf. Nur zu ihrem erst 1858 geborenen Sohn Rudolf, dem Kronprinzen, fand sie, selbstbewußter geworden, ein familiäres Verhältnis.

Der Kaiser erwies sich als ein ebenso pflichtbewußter wie stocknüchterner (ja geradezu langweiliger) Ehemann, der "Sisi" zwar liebte, ihrer Intelligenz und Literaturbegeisterung jedoch nichts entgegenzusetzen hatte. So lebten sich die Eheleute schnell auseinander; Elisabeth suchte und fand zahllose Vorwände, um dem Hofleben zu entkommen, und entwickelte zunehmend eine große Menschenscheu. Vor allem muß sie entsetzlich darunter gelitten haben, ihrem Mann beiwohnen zu müssen. Sie flüchtete sich in zahllose rätselhafte Krankheiten, die sie immer wieder zu langwierigen Kuraufenthalten und somit Trennungen vom Kaiser "zwangen". Nachdem sie ihre eigentliche Aufgabe erfüllt - nämlich den Thronfolger zur Welt gebracht - hatte, verschärfte sich dieses Bild. Die Biographin Hamann ist überzeugt, daß Elisabeth unter einer "Anorexia nervosa" (Magersucht) litt, worauf nicht nur ihr legendärer Taillenumfang von 50 cm und ihr extremes Untergewicht, sondern unter anderem auch ihr übersteigerter Bewegungsdrang (tägliche Turnübungen, berüchtigte Parforce- Ritte und "Spaziergänge" von manchmal bis zu 50 km!) hindeutet.

Das Tragische an dieser Konstellation ist, daß Franz Joseph seine Frau aufrichtig liebte, sie jedoch beim aufrichtig besten Willen nicht verstand. Mit zunehmenden Ehejahren vergrößerte sich aber die Kluft zwischen den Eheleuten immer mehr, und es wird von zahllosen unabhjängigen Augenzeugen das entsetzliche, lähmende Schweigen anläßlich der immer seltener werdenden Familienzusammenkünfte geschildert.

Im Unterschied zu den meisten Menschen ihrer höfischen Umgebung erkannte "Sisi" mit scharfem Weitblick, daß sie einer absterbenden Kaste angehörte. Sie bewunderte offen das Bürgertum, das sich seinen Wohlstand selbst erarbeiten mußte, und vergötterte den Philosophen Arthur Schopenhauer sowie den republikanischen Dichter Heinrich Heine (dessen Büste sie in einer ihrer Villen aufstellen ließ). In (allerdings dilettantischen) Versen eiferte sie ihm, den sie als ihren "Meister" bezeichnete, nach. Deutlich ersieht man aus diesen ihr Gefühl, einsam und unverstanden zu sein. Mit bitterem Spott geißelt sie immer wieder die Aristokratie und erweist sich als glühende Republikanerin, sehr wohl im Bewußtsein, daß man sie in die Irrenanstalt sperren würde, würden solche Verse bekannt (S. 477). Bezeichnenderweise verfügte sie, daß diese Gedichte erst 1951 (wie utopisch muß ihr dieses Jahr seinerzeit erschienen sein!) dem Bundespräsidenten der Schweiz (also einer Republik!) übergeben werden dürften (was auch geschah). Eines dieser Gedichte heißt denn auch: "An die Zukunftsseelen". (S. 444) Immer wieder beklagt sie sich bei den Menschen der Zukunft über ihr Los, findet aber auch ein Gefühl der Rache darin, ihre Standesgenossen vor diesen lächerlich zu machen.

Besonders kraß zeigt der folgende Tagebuchauszug "Sisis" Meinung über ihre Klasse:

"Die schöne Phrase vom König oder Kaiser und seinem Volk! Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Warum soll das Volk uns lieben, uns, die wir im Überfluß, im Glanze leben, während die anderen bei schwerer Arbeit kaum das tägliche Brot haben und darben? Unsere Kinder in Samt und Seide - die ihrigen oft in Lumpen! Sicherlich kann man nicht allen helfen, mag noch so viel geschehen, um Not zu lindern. Dennoch bleibt die Kluft!

Unser gnädiges Lächeln kann sie nicht überbrücken. Mich erfüllt ein Gruseln beim Anblick des Volkes. Jedem einzelnen möchte ich helfen, ja oft möchte ich tauschen mit der ärmsten Frau. Aber das 'Volk' als Masse fürchte ich. Warum? Ich weiß es nicht. Und unsere 'Sippe'! Die verachte ich mit all dem Firlefanz um uns herum.

Gerne möchte ich zum Kaiser sagen:

'Das beste wäre, du bliebst zu Haus, hier im alten Kyffhäuser. Bedenk ich die Sache ganz genau, so brauchen wir keinen Kaiser!'"

Anm.: Das Gedicht stammt von Heine.

Mit zunehmendem Alter und wachsendem Selbstbewußtsein erschien die Kaiserin ihrer Umgebung immer versponnener, obgleich sie als die schönste Regentin ihrer Zeit galt und jahrelang einen regelrechten Schönheitskult betrieb (so sammelte sie Fotografien schöner Frauen aus aller Herren Länder). Zu Frauen hatte sie stets ein besseres Verhältnis als zu Männern, deren Verehrung sie nichtsdestoweniger genoß. Ihr Verhalten, das auf keinerlei politische Erwägungen Rücksicht nahm (so zeigte sie stets offene Sympathien für Ungarn und bereiste gelegentlich die "inopportunen" Länder), trieb den österreichischen Hof oftmals schier zur Verzweiflung.

Eine gewisse Affinität verband sie mit dem Bayernkönig Ludwig II. (1845 - 1886), der - ebenso wie sie - als sagenhaft schön, aber - ebenso wie sie - auch als Sonderling galt. Ludwig II., der ebenfalls in sehr jungen Jahren König geworden war und 1866 am Krieg gegen Preußen teilgenommen hatte, wandte Unsummen auf, um dem "Genie" Richard Wagner aus seiner ständigen Geldverlegenheit zu helfen und sich selbst die noch heute bekannten "Märchenschlösser" zu erbauen. Von der Politik verabschiedete er sich innerlich nach kaum einjähriger Regierungszeit. Er pflegte tagsüber zu schlafen und nachts zu wachen (was heute als Hinweis auf eine "endogene Depression" gedeutet wird). 1886 wurde er wegen Wahnsinns (eine bekannte Erbkrankheit der Wittelsbacher, vermutlich eine Folge der zahlreichen Verwandtenehen) abgesetzt und sein Oheim Luitpold zum neuen Regenten ausgerufen; entgegen dem Rat Bismarcks (ausgerechnet dieser Preuße war für den König so etwas wie ein väterlicher Freund und Berater), sich seinem Volk und seinen Truppen zu zeigen und sich auf diese Weise der Absetzung zu widersetzen, blieb er - wie so oft - tatenlos. Wenige Tage nach seiner Absetzung beging er Selbstmord im Starnberger See, wobei auch der Nervenarzt Dr. Gudden zu Tode kam.

Ludwig II. war für einige Zeit mit "Sisis" jüngerer Schwester, der ebenfalls bildschönen Wagner- Verehrerin Sophie, verlobt, die zuvor zahllose hervorragende "Partien" ausgeschlagen hatte. Zur Hochzeit kam es jedoch nie, zumal der junge König alle "Sinnlichkeit" haßte und sich darauf beschränkte, des Nachts die Statuen nackter Jünglinge zu umarmen und im Bett zu onanieren, was ihm - als "Allerchristlichster Majestät" - große Gewissenskonflikte bereitete, wie man aus seinem Nachlaß weiß.

Zu den schwersten Schicksalsschlägen, die Elisabeth hinnehmen mußte, gehörte der frühe Tod ihrer erstgeborenen Tochter Sophie (im Alter von zwei Jahren) und der Selbstmord des (unglücklich verheirateten) Kronprinzen Rudolf, dessen Ursachen nicht ganz klar sind. Zeitweise hing "Sisi" dem Spiritismus an. In ihren letzten Lebensjahren führte sie ein rastloses, unstetes Leben; sie legte ihre kostbaren Kleider ab und trug von nun an ausschließlich das Schwarz einer "Mater dolorosa"; wie gehetzt durcheilte sie Europa auf der Suche nach einem "Zuhause", ein Vermögen für später unbenutzte und unverkäufliche Bauten verschleudernd. Ihr Verhalten grenzte dabei gelegentlich an Größenwahn, zumal sie sehr wohl die Fehler anderer Menschen scharf erkannte, ihre eigenen jedoch nicht.

Eine ihrer menschlich größten Regungen war es allerdings, ihrem gutmütigen Mann, dem gegenüber sie stets Schuldgefühle hatte, ein Verhältnis mit einer bekannten Schauspielerin (Katharina Schratt) zu ermöglichen, die offiziell als "Freundin der Kaiserin" galt.

Im Alter von 60 Jahren wurde die Kaiserin Elisabeth von einem italienischen Anarchisten erdolcht.

Paradoxerweise wird man sagen können, daß die größte Tragik ihres Lebenz ihre Intelligenz war, die sie in beständigen Konflikt mit der seinerzeitigen Frauenrolle - und ganz speziell den Verhältnissen in der Wiener Hofburg - brachte. Trotz ihres beträchtlichen Privatvermögens war sie seit ihrer Heirat, von einer ersten glücklichen Phase abgesehen, depressiv. Überliefert ist der Ausspruch der Fünfzehnjährigen in bezug auf den Kaiser: "Ich habe ihn ja sehr lieb. Wenn er doch nur ein Schneider wäre!" (70) Hier deutet sich das spätere Desaster bereits an.

Geradezu monströs mutet es uns heute an, daß seinerzeit Menschen, die eigentlich noch Kinder waren (man halte sich überdies vor Augen, daß Staatsbürger seinerzeit viel später als "volljährig" galten als heute!) ungeachtet ihres persönlichen Glücks unbarmherzig ins jeweils opportune politische Kalkül gezogen und in Regierungs- und Repräsentationspflichten gezwungen wurden. Ein fünfzehnjähriges Mädchen zu verloben (später sollte es Elisabeth es "verkaufen" nennen), als Sechzehnjährige in einen goldenen Käfig zu verheiraten und zu sofortiger Mutterschaft anzuhalten, kommt einer seelischen und körperlichen Vergewaltigung gleich. Mit Blick auf "Sisis" spätere zahllose Eskapaden muß man fragen: Kann man von Menschen, die im Alter von 16 Jahren "Kaiserin" werden müsssen, erwarten, daß sie ein normales Leben führen? Kann man erwarten, daß Neurosen ausbleiben?

Merkwürdigerweise scheint sich das Klischee der kaiserlichen "Liebesheirat" von 1855 so tief im Gemüt der Menschen niedergelassen zu haben, daß es noch hundert Jahre später zur Vorlage für die berühmten Filme mit Romy Schneider diente. Es ist wirklich eine einzigartige Ironie des Schicksals, daß die "Zukunftsseelen", an die sich die unverstandene Kaiserin in ihrer Verzweiflung wandte, "Sisi" just zu der ihr vorschwebenden Zeit (1950'er Jahre) ausgerechnet in der Rolle kennenlernten, die ihr am meisten zuwider war.

So kann man sagen, daß diese kluge Frau gleich von zwei Jahrhunderten als "schönes Dummchen" mißverstanden worden ist.

 

Lebensdaten

Franz Joseph I. (1830 - 1916)

Kaiser 1848 (18 Jahre alt)

Elisabeth, Herzogin in Bayern (1837 - 1898)

Kaiserin 1854 (16 Jahre alt)

Ludwig II. von Bayern (1845 - 1886)

König 1864 (18 Jahre alt)


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 18.6.1995 von Holger
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