USA! USA!

Hier mal eine eben erhaltende Mail von einem Bekannten aus Amerika. Ich fand die so gut das ich diese ungeschnitten hier rein stelle.

Hallo Sebastian!

Keine Ahnung, wie in Deutschland die Temperaturen so sind - hier haben wir 27 Grad Celsius. Drinnen. Draußen ist es kalt und nass, wie November das so an sich haben. Aber die Freunde heizen hier was zurecht... Unglaublich. Die 27 Grad haben wir nur ereicht, weil zwei Fenster offen sind. Es gibt hier zwei Zustände: Karibik und Sibirien. Je nachdem, welcher Tagesbefehl gerade ausgegeben ist, wird entweder geheizt, als gelte es, die in der Stadt lebenden Obdachlosen per Wärmeleck mit zu versorgen, oder die Heizung bleibt gnadenlos aus. Was uns nicht umbringt, macht uns hart oder so, auch wenn dieser dämliche Spruch wohl keine amerikanische Idee war. Warum ich nicht einfach herunterregle? Nu, Briederschen, nix Ventil, nix regeln. So einfach ist das. Und Heizung ist eh pauschal in der Miete mit drin, wen interessiert es also. Ein Freund meinte, er würde im Winter generell die Heizung ausstellen (der alte Günstling, der kann das!!!), die diversen Nachbarn würden für soviel indirekte Hitze sorgen, dass es teilweise noch immer zu warm sei. Soviel also dazu.

Die letzten zwei Wochenenden war ich ein wenig aus der Bahn geworfen, wieder mal mit ominösem Fieber und sonst keinen Symptomen, außer, dass ich ernsthaft mit Todessehnsucht gespielt habe. Naja, ok, nicht ganz so schlimm, aber ich hatte echt keine Lust mehr. Das ist das Doofe, wenn man wirklich krank ist. Nicht Fisch, nicht Fleisch, die Zeit vergeht, keine Konzentration zum Fernsehen, Hunger, aber kein Appetit, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Hitzewallungen, wie ein einziger, ewig andauernder Kater. Das gönne ich meinen ärgsten Feinden, aber mir doch nicht. Dank massiver Dosen Ibuprofen oder, wie dem gebildeten Amerikaner auf der Packungsbeilage in Klammern erläutert wird: "Eye-byoo-proe-fen" (kein Witz, genau so steht es geschrieben) bin ich zur Zeit wieder funktionsfähig, aber noch nicht so recht wiederhergestellt. Aber sehen wir es positiv: Ich weiß nun, wie man hier einen Arztbesuch gestaltet.

Zunächst mal ist es an sich schon sehr cool, eine Krankenversicherung zu haben. 20% aller Kinder in New York haben nämlich keine. Meine ist eine der besseren, bin also theoretisch gern gesehener Kunde bei Frau Doktor. Nun habe ich einen POS-Plan, für Point Of Service: Der Sinn ist, dass man immer erst zum gleichen Arzt muss (Primary Care Physician, oder cool PCP - hey, Mister, wer ist denn Ihr PCP?), der überweist dann an Spezialisten, wenn es sein muss. Hieß mal Hausarzt bei uns. Erfinden wir bestimmt in 10 Jahren neu. Die Gebühren - jaja, Gebühren - richten sich danach, ob der Doc einen Vertrag mit der Versicherung hat oder nicht (lief vor ein paar Monaten in Berlin als Test, nannte sich Praxisnetz). Ich habe eine Zuzahlung pro Arztbesuch von 10 Dollar, die man mir trotz nahen Kreislaufkollapses erst mal aus der Tasche gezogen hat, nachdem ich die aus dem Film bekannten zwei Formulare ausgefüllt habe. Ich hoffe, es waren wirklich zwei, und nicht nur eins, mein Bild war nämlich krankheitsbedingt ein wenig gestört. Aber krank darf man hier eh nicht sein, wenn man zum Arzt will. In einem Anfall von Genialität habe ich nämlich vor dem Notbesuch beim Doc selbigen angerufen, ob ich denn darf. Sorry, hieß es, wir akzeptieren keine neuen Patienten. Wie das, frage ich zurück, ich habe Sie im September als PCP ausgesucht (kein Bonus für die Verwendung dieser coolen Insidervokabel...), laut Katalog, und da stand nichts davon. Sorry, hieß es wieder, wir sind trotzdem voll. Aber wir haben da einen Kollegen, der hätte nächste Woche noch was frei. Nächste Woche brauche ich keinen Arzt mehr, so oder so. Gut, bleiben Sie dran. Ähm, die Kollegin weiss-der-Teufel hätte morgen Zeit. Nee, zu spät. OK, rufen Sie diese Nummer an, einen guten Tag, pieeeep. Ende vom Lied, nach etwa 30 Minuten Telefonat hatte ich dann einen Termin bei einer Dame, die ganz viele Termine frei hatte - immer ein gutes Zeichen. Den Namen weiß ich bis jetzt nicht (irgendwas wie Cajulis oder so), aber sie ist nett und offenbar noch sehr frisch, also unbekannt und daher bereit, Neulinge wie mich zu akzeptieren. Unnötig zu erwähnen, dass sie keine Ahnung hatte, was mir fehlt. Das wusste die Kollegin in Deutschland vor zwei Jahren ja auch nicht. Mein Fehler, wenn ich nicht mit einer vernünftigen Diagnose - also unvorbereitet - zum Arzt gehe. Aber wir haben uns gütlich auf ein großes Blutbild geeinigt und haben ansonsten die Parole Virusinfekt ausgegeben. Das ist total Klasse, weil nicht nachweisbar. Man kann nur die Symptome bekämpfen und hoffen, dass der Körper das irgendwie selber hinbekommt. Die Blutabnahme fand ein paar Stockwerke weiter oben statt, outgesourced. Die zuständige Dame hatte sich entschieden, die ihren Vorfahren nach der Überfahrt auf dem Sklavenschiff angetanen Verbrechen just an jenem Tage zu sühnen - und zwar an mir. Ich saß also da und konnte unter äußerster Willensanstrengung registrieren, wie ein dunkelhäutiger Neuankömmling nach dem anderen geblutsaugt wurde, bis eine ebenfalls der verfolgten dunklen Minderheit angehörenden, aber mitfühlenden Seelen Big Mamma auf den Lapsus aufmerksam machte. Wie gesagt, ich selbst hatte gerade noch Kraft zum Sitzen, mehr war da nicht zu wollen und an Protest nicht zu denken. Jetzt muss ich mich vorsehen, der Polizei nicht aufzufallen, dann sonst - adieu. Ein Blick in meine linke Armbeuge, und es ist klar, was ich für einer bin. Schöner fetter Bluterguss. Haste ma'n Euro, Alter?

Erfreulicheres. Am 3. November hat hier - wo auch sonst - der New York Marathon stattgefunden. Das wäre fast an uns vorbeigegangen, so sehr geht ein event dieser Klasse inmitten der vielen Ereignisse unter. Fast. Haben es gemerkt, Internet ausgecheckt, und siehe: Rennstrecke 10 Minuten von uns weg, Zieleinlauf 20 Minuten. Sind also zu Meile 23 gelaufen und haben uns über die vielen Verrückten gefreut, nicht ohne eine gewisse Portion Respekt vor der athletischen Leistung. Till war nach 30 Minuten langweilig, klar, aber der Spielplatz lag direkt an der Rennstrecke (Central Park East und 103rd) , so dass wir alle was von dem Nachmittag hatten. Eigentlich auch Erfreuliches ist ja eine Urlaubsreise. Man erwägt Optionen, denkt hin, denkt her, ist euphorisch, revidiert wieder, und dann hat man es gefunden. Das soll es sein, und sonst nichts. OK. Also eine 10tägige Karibikkreuzfahrt über Silvester. Das klingt sehr übertrieben, ist aber am Ende die preiswerteste Variante (Preis-Leistungs-Verhältnis). Wohl an, www.orbitz.com, frisch gebucht. Habe ja Kreditkarte. Wat'n Witz. Nachdem wir festgelegt hatten, welche Kabine wir wollen (das geht, richtig mit Deckplan und blinkenden Symbolen für freie Kabinen), ob wir an einem 2er, 4er, 6er oder 8er Tisch sitzen wollen, etc., hieß es : Nun geben Sie mal Ihre Kreditkarteninfo ein, junger Mann. Tja. Sorry, können die Buchung leider nicht vornehmen, rufen Sie die und die Nummer an. Prima. Dran war ein Mister, der hieß Bear (wie Bär), sein Bruder lebt seit 20 Jahren in Berlin. Soweit, so gut. Habe ein paar Tage später gemerkt, dass Bear der Vorname von dem armen Kerl ist. Oh Mann. Bear also teilte mir mit, dass dies am automatischen Verifizierungssystem liege, welches natürlich bei ausländischen Kreditkarten nicht funktioniert. Er müsse also in Deutschland anrufen, um meine Adresse zu checken. Jaja, kein Witz. Das hat eine ganze Weile nicht geklappt, dann aber doch. OK, Mr. Frank, alles ist bestens, und dieser Service kostet Sie 15 Dollar. Have a nice day. Der Tag war nicht nice, denn ich hatte ja Fieber, aber das ging Brausepaul nichts an. Am nächsten Tag (Sonntag) klingelte das Telefon, und - Bear war es. Sorry, Mr. Frank, Problem mit Ihrer Karte. Und wenn nicht bezahlt ist bis Dienstag, dann war es das mit der Buchung. Nee, Überweisung geht nicht. Scheck auch nicht. Ich rufe also in Deutschland an und frage, was los ist. Immerhin hat die Dame von der Citibank mir angeboten, mich zurückzurufen, um mir Telefongebühren zu sparen. Respekt. Also: mein Kreditkartenlimit war viel zu niedrig für den anstehenden Betrag. Lösung: Geld auf Kreditkarte einzahlen. Problem: 4 Arbeitstage. Nach zähen Verhandlungen: 2 Arbeitstage. Onlineüberweisung möglich? Aber sicher doch, Herr Frank. Gut. Naja, keine Überraschung, war natürlich nix mit Online. Lieber Kunde, bla bla, können nicht, rufen Sie 0180-xxx an. Nur zum Verständnis: Das Geld habe ich durchaus auf meinem Konto. Egal, wieder Deutschland angerufen, diesmal kam aber kein Angebot zum Rückruf. Problem geschildert, Problem gelöst, Überweisung telefonisch vorgenommen - ah, nicht ganz. Dafür braucht man ja ein spezielles Telefonbanking-Passwort, das man sonst nie braucht. Also: Einen Moment, gute Frau, ich sehe mal nach - und klick, falsche Taste gedrückt, Telefonat weg. Nun, beim nächsten Versuch hat es dann geklappt. Nun sitze ich hier und warte auf einen Anruf meines inzwischen besten Kumpels Bear, ob das Geld rechtzeitig da war und wir nun in die Karibik können oder nicht.

Ja, warum hat denn der gute R. keine Kreditkarte bei den Amis beantragt? Doch, hat er. Es ist in diesem Land nur falsch, kein Amerikaner zu sein. Tut uns leid, Sir, Kreditkartenantrag abgelehnt wegen "zu kurzem credit-record". Kunststück, bin ja erst ein paar Wochen hier!! OK, wer nicht anrief, war Bear. Habe also am Tag darauf nachgehakt und siehe, nun ist wohl alles in Butter. Ich fühle mich inzwischen richtig dankbar, dass ich mein Geld ausgeben darf. Das nenne ich doch mal fortgeschrittenes Marketing! Da können wir echt noch was von den Amis lernen!

Stichwort lernen: Eine Unsitte ist hier, Rabatte nicht einfach von Preis abzuziehen, sondern es dem Kunden etwas schwerer zu machen. Das ganze nennt sich mail-in rebate. Man muss diverse Informationen eingeben, in der Regel irgendwelche Nummern von Kassenbon, und bei größeren Beträgen auch noch irgendwelche Barcodes vom Originalprodukt ablösen und alles zusammen an eine bestimmte Adresse schicken. Dort wird das dann verarbeitet, und theoretisch bekommt man dann einen Scheck oder Gutschein oder was auch immer. Beispiel: Ich habe ein Mobiltelefon gekauft, zum Preis von 100 Dollar. Dazu gibt es einen rebate von 30 Dollar in Bar oder 50 Dollar als Gesprächsguthaben. Dies macht dann einen Nettopreis von 50 Dollar für das Telefon, womit dann auch kräftig geworben wird. Nun habe ich das Handy schon seit August, aber meine Karte mit dem Gesprächsguthaben noch immer nicht. Man geht dann auf eine Internetseite und checkt des Status des rebate. OK, wurde mir am 10. Oktober zugeschickt, heißt es dort. Habe ich aber nicht erhalten. Also wieder mal: Telefon, anrufen, beschweren. Heraus kommt, dass man in meiner Adresse einen Zahlendreher hatte, somit die Karte als unzustellbar zurückgekommen ist. Ich meine, wir reden hier von einer Mobiltelefongesellschaft. Die müssten mich einfach nur anrufen und sagen, hey, Sir, irgendwas stimmt mit Ihrer Adresse nicht. Oder eine SMS schicken oder was auch immer. Aber weit gefehlt. Nun schickt man mir das Teil noch einmal zu. So geht das hier ständig. Nichts funktioniert, keiner hat Ahnung. Dies scheint nicht nur meine persönliche Erfahrung zu sein, Kollegen und Freunde haben Ähnliches zu berichten. Wie die hier die Führungsnation der Welt bleiben wollen - ist mir stellenweise unklar. Oder wir anderen sind noch viel schlechter...

In diesem Sinne, alles Gute bis demnaechst,

Ruediger


Aus der © ChatNoir Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 19.11.2002 von Lad-Sebastian
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